-_dd denkt laut
Sonntag, 29. Januar 2006
chet

in meiner plattensammlung kündigt sich gerade der nächste irrsinn an.
der herr hprill hat mich mit seiner chet baker-begeisterung massiv angesteckt, fürchte ich.

ich hatte die geschichte ja immer tragisch, aber nicht so besonders interessant gefunden. zu klischeehaft schien mir der plot.
Sie erinnern sich bestimmt:


junger weisser jazztrompeter wird in den frühen fünfziger jahren zum star, versaut sich dann aber dank illegaler substanzen, grober fehlentscheidungen und labiler persönlichkeit die karriere nachhaltig, verliert bei einer schlägerei alle zähne, muss als tankwart schuften, bekommt schliesslich neue zähne, tingelt durch europa, spielt für und mit jeden/m, der ihm geld für junk gibt, stürzt schliesslich in einem amsterdamer hotel aus dem fenster und stirbt.

so weit, so uninteressant.

was der geschichte aber tiefe und wirkliche tragik gibt, ist, dass baker seine besten aufnahmen in eben jener zeit des niederganges, mitte der achtziger jahre, gemacht hat.
erwarten würde man ja eher. dass er nach 1960 auch musikalisch nur noch ein schatten seiner selbst gewesen wäre (körperlich und wohl auch psychisch war er das allemal).

aber weit gefehlt. in hunderten sessions mit oft weitgehend namenlosen begleitmusikern nahm baker für winzige labels musik auf, die schöner und vielschichtiger war, als alles, was er zu seiner glanzzeit in den fünfzigern hervorbrachte, ohne, dass es eine nennenswerte öffentlichkeit wahrnahm.

(übrigens war baker zu dieser zeit auch einige wochen in wien - udo proksch, der ein grosser bewunderer war, hatte ihn zu konzerten im club 45 eingeladen.)

nach seinem tod gab es einen wenig erhellenden film und einen kleinen hype, im zuge dessen seine alten aufnahmen in verschiedensten mehr oder weniger geschmacklos aufgemachten compilations auf den markt geworfen wurden. und vor allem die sessions, auf denen er standards wie "my funny valentine" und "I fall in love too easily" sang, kamen zu posthumer berühmtheit.
seine späten aufnahmen interessierten aber weiterhin so gut wie niemanden.

hört man grosse chet baker-alben wie "chet´s choice", "peace", "candy" oder "blues for a reason", kann man sich nur wundern, wie solche klassiker völlig an jeder geschichtsschreibung vorbeiexistieren können.

ich hatte ja bis vor kurzem geglaubt, dass der jazz 1970 gestorben ist.
fehlannahme.
der jazz ist 1988 in amsterdam aus dem fenster gefallen.

ps: wenn ich Sie jetzt neugierig gemacht habe: kaufen Sie keine biografie. kommen Sie lieber nächsten samstag ins frame und laden Sie herrn hprill auf ein bier ein. er erzählt Ihnen dann sicher gerne alles, was Sie wissen wollen.

ps2: eine schöne kommentierte auswahldiskographie finden Sie übrigens hier

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